Marion Faesel reiste mit dem Zug in die Sierra Tarahumara.
Sie bereitete sich vor zu nachtschlafender Zeit
in der typischen Manier einer Rucksackreisenden. Anschließend "erfuhr"
sie die zerklüfteten Berge mit ihren schwindelerregenden Brücken
und passierte mit der Barranca del Cobre das gewaltige Herzstück der
Region.
"Fünf Uhr, aufstehen!" Hinter uns liegt eine kurze,
kalte und vor allem laute Nacht, im Zimmer unter uns tobte eine Fiesta.
Erst am späten Abend kamen wir gestern in Los Mochis an, nach einer etwa
13-stündigen Busfahrt, die von San Blas über Tepic und Mazatlán
führte. Hat sich für fünf Stunden überhaupt ein Hotelzimmer
gelohnt? Nun ja, vor uns liegt eine zehnstündige Zugfahrt von Los Mochis
nach Creel, die das Highlight unserer Reise durch den Norden Mexikos werden
soll und nicht verschlafen werden durfte.
Wir wickeln uns aus den viel zu dünnen Decken, und während
ich in Treckinghose und Fleece-Pulli, Wollsocken und Meindls schlüpfe,
denke ich voller Sehnsucht an mein kuscheliges Oberbett zu Hause in Deutschland.
Schnell noch die Regenjacke in den Tagesrucksack gestopft - es wird noch kälter
werden - und los geht's, zur angeblichen Bushaltestelle.
Dass es nun sogar schon um 5.30 Uhr einen Stadtbus zum Bahnhof geben soll,
übertrifft unsere Erwartungen. Es ist eine Wohltat für die geplagte
Reisekasse, um ein Taxi herumzukommen. Noch vorgestern konnte uns niemand
genau sagen, ob der 2.-Klasse-Zug nach Creel noch fährt, ob überhaupt
noch Züge verkehren. Die Frage nach einem Gefährt zum Bahnhof wurde
da zur Nebensache.
Es ist noch dunkel und ein Taxi wäre ohnehin wohl nur schwer
aufzutreiben. Ich bin noch total orientierungslos und latsche müde meiner
Freundin hinterher. Mein Einsatz ist bald gefragt, als wir zwar an der richtigen
Stelle, aber an keiner Bushaltestelle sind. Frage ich also mal wieder. Die
wenigen schon wachen Einwohner von Los Mochis sind am Straßenstand einer
köchelnden Mutti versammelt. Gut, da lang, dann rechts, links und geradeaus,
um die Ecke, den Rest nicht verstanden, ja, gracias!
Aber tatsächlich, der nächste Bus, vor den wir uns werfen, um zu
fragen, wo er hinfährt, bringt uns zum Ziel.
Am Bahnhof warten noch die Leute vom 1.-Klasse-Zug, der um 6.00 Uhr, eine Stunde vor unserem, fahren soll. Wir vertreiben uns die Zeit damit, einen Opa mit seinem Fahrradkiosk zu beobachten und ihm Kekse und Wasser abzukaufen - Traveler-Frühstück! Um 6.00 Uhr dürfen wir dann endlich unsere Fahrkarten kaufen und erfahren, dass der 1.-Klasse-Zug erst um 7.00 Uhr fahren wird, unserer dementsprechend dann erst um 8.00 Uhr. Warum, weiß keiner, will auch keiner wissen, ist eben so.
Es ist hell geworden, langsam rollt der Zug an, bereit, auf den kommenden rund 380 Kilometern mehr als 2000 Höhenmeter zu erklimmen. Nahezu im Schneckentempo durchschleichen wir zunächst die Küstenebene, und schon bald bin ich doch ein bisschen eingenickt. "Schnell, es ist ganz toll!" weckt mich meine Freundin und ist schon wieder weg, mit ihrer Kamera in der Hand zur Plattform, die sich zwischen den Waggons befindet. Ich sehe aus dem Fenster: schroffe Berge in grau-grün, zu deren Füßen sich ein Fluss windet, der Zug schwebend dazwischen - wir überfahren eine der vielen Brücken. Sekunden später stehe auch ich auf der Zwischenplattform und erkämpfe mir einen Platz zum Staunen und Fotografieren. In den kommenden Stunden durchfahren wir immer wieder Tunnel, schweben über weitere Brücken, während die Luft immer klarer wird. Irgendwann halten wir, wieder weiß keiner, warum, auch nicht, warum wir erst zwei Stunden später weiterfahren. Als wir die Aussichtspunkte Divisadero und El Lazo erreichen, ist es leider schon wieder dunkel. Von der Barranca del Cobre ist nichts zu sehen. Doch der Sternenhimmel, unter dem der Zug nun hinwegknattert, entschädigt uns für die ausgefallenen Sehenswürdigkeiten, und so frieren wir gerne noch ein bisschen in der jetzt eiskalten Nachtluft.
Die grelle Morgensonne blendet uns, die Luft ist rauchig vom Kaminholz, der kalte Wind jagt Staub und Blätter durch die Straßen von Creel, und ich fühle mich zum ersten Mal nach fast zehn Monaten wieder wie im Winter. Mittags wird es angenehm warm, doch mit Einbruch der Dämmerung kommt wieder die Kälte. Wir hocken in unserem rustikalen Zimmer, und während das Holz im Kamin prasselt, kreisen unsere Gedanken noch immer um die Schluchten, Felsformationen, Wasserfälle und Bewohner der "Cowboy-und-Indianer-Landschaft" der Sierra Tarahumara.